Kommunikations-Mythen aufgedeckt

Wir räumen auf – mit hartnäckigen Mythen, denen wir, und sicher auch du, immer mal wieder begegnest. Wir stellen dir der Reihe nach 13 Mythen vor und hinterfragen sie mit einem Modell der Hamburger Kommunikationspsychologie.

Diese Kommunikationsmythen nehmen wir unter die Lupe:

  • Mythos #1: „Für gelingende Kommunikation muss man sich nur klar und unmissverständlich äußern.“
  • Mythos #2: „Politik ist dazu da, Probleme zu lösen.“
  • Mythos #3: „Im Job sind Emotionen tabu.“
  • Mythos #4: „Ehrlichkeit währt am längsten.“
  • Mythos #5: „Kommunikation ist vor allem Technik“
  • Mythos #6: „Sachliche Kommunikation ist im Beruf der Goldstandard.“
  • Mythos #7: „Fake it, till you make it.”
  • Mythos #8: „Wenn es um Kritik geht - dann ist die Sandwich-Methode das Mittel der Wahl!“ (1/2)
  • Mythos #9: „Wenn es um Kritik geht - dann ist die Sandwich-Methode das Mittel der Wahl!“ (2/2)
  • Mythos #10: „Wer sich zu viel mit seiner Kommunikation beschäftigt, redet bald wie aus dem Lehrbuch.“
  • Mythos #11: „Gute Kommunikation entsteht automatisch, wenn ich weiß, was ich sagen möchte und im Einklang mit mir selbst bin.“
  • Mythos #12: „Das spontane Bauchgefühl weist meist den richtigen Weg.“
  • Mythos #13: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“

Mythos #1: „Für gelingende Kommunikation muss man sich nur klar und unmissverständlich äußern.“

Klingt logisch?

Leider nein. Denn Kommunikation entsteht nicht nur beim Senden – sondern auch beim Empfangen.

Als Empfänger:in entscheide ich mit, was ich höre – und auf welchem „Ohr“ ich es aufnehme.

Das Kommunikationsquadrat zeigt: Neben der Sachebene schwingen auch Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell immer mit – ganz ungeachtet dessen, wie klar und explizit wir eine der Seiten in den Vordergrund stellen.

Mythos #2: „Politik ist dazu da, Probleme zu lösen.“

Klingt plausibel – greift aber zu kurz.

„Denn die Politik hat zu 90 Prozent nicht die Aufgabe, Probleme zu lösen, sondern Dilemmata zu gestalten. Und das Wertequadrat kann sehr helfen, hier hellsichtig zu werden.“
(Friedemann Schulz von Thun)

Zwei berechtigte Werte stehen sich gegenüber und lassen sich nicht gleichzeitig vollständig verwirklichen.

Zum Beispiel im Umgang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine:

  • Der Ukraine unbedingt beistehen – mit aller Kraft und Entschiedenheit.
  • Den labilen Frieden in Europa und der Welt so schnell wie möglich wiederherstellen, ohne eine Eskalation zu riskieren.

Beides hat Wert – und beides birgt Risiken.

Dilemma-Bewusstsein verändert die Debattenkultur.
Es lädt dazu ein, den Meinungsgegner nicht zu verteufeln und zu dämonisieren, sondern zu sehen, dass er auch etwas Wichtiges im Blick hat.

Vielleicht beginnt Demokratie dort, wo wir – statt uns auf Bühnenkämpfe einzulassen – die komplementären Werte suchen, wo die Wahrheit zu zweit beginnt. Im Bewusstsein über Werte und Gefahren – und mit der Fähigkeit, situativ zu entscheiden.

Mythos #3: „Im Job sind Emotionen tabu.“

Im Beruf wollen und müssen wir souverän und professionell sein. Aber schließt dies aus, Emotionen (positiver und negativer Natur) zu haben und zu zeigen?

Wir unterscheiden zwischen einer Souveränität 1. und 2. Ordnung:

Souveränität 1. Ordnung ist auf Perfektion und Kontrolle ausgerichtet: sich selbst und die Situation jederzeit „im Griff“ zu behalten, sich keine Blöße zu geben. Perfektion und Kontrolle (auch Selbstkontrolle) sind Ideale der Professionalität.

Doch es gehört ebenso zur Wahrheit des Menschen, dass er immer wieder auch fehlbar und nicht in Hochform ist, dass er zuweilen betroffen und verdattert ist, dass er nicht immer auf Anhieb die richtigen Worte findet, dass er hilfsbedürftig und ratlos, nachdenklich und verletzlich ist.

Eine Souveränität 2. Ordnung integriert die „Schwächen“ – nicht als bedauerliche Zeichen von Kläglichkeit, die man besser verbirgt, vielmehr als humane Realität, die keinen Zacken aus der Krone bricht, sondern die wahrhafte Krone erst aufsetzt. (aus: Miteinander reden von A-Z – Lexikon der Kommunikationspsychologie)

Emotionen im Beruf tabu? Nein, das Ziel ist nicht die Unterdrückung oder Abspaltung von Emotionen am Arbeitsplatz, sondern einen guten Umgang damit zu finden.

Mythos #4: „Ehrlichkeit währt am längsten.“

Stimmt das?

Im Videoausschnitt aus dem Podcast-Interview von „Rebellisch gesund“ (hier auf YouTube ansehen) spricht Friedo über ein wichtiges Wertepaar in der Kommunikation und im Leben:

„Ehrlichkeit ohne Taktgefühl ist Murks. Und Taktgefühl ohne Ehrlichkeit ist auch Murks.“

Das Werte- und Entwicklungsquadrat macht deutlich:
Ehrlichkeit ist wichtig – aber ohne die Balance mit Taktgefühl wird sie schnell zur „brutalen Offenheit“.
Umgekehrt wird Taktgefühl ohne Ehrlichkeit schnell zur Fassadenhaftigkeit – oder gar „Friedhöflichkeit“.

Mythos #5: „Kommunikation ist vor allem Technik“

Tools und Techniken sind wunderbar, wenn sie Hand in Hand gehen mit der menschlichen Entwicklung und Reifung. Sonst wird aus ihnen ein „kommunikativer Sonntagsanzug“, mit dem wir nicht mehr authentisch wirken und sind.

Kommunikationstraining ist vor allem Mensch- und Selbstwerdung: Wie Friedemann Schulz von Thun im Videoausschnitt aus dem Podcast-Interview von „Rebellisch gesund“ (hier auf YouTube ansehen) erzählt, war es für ihn lebensentscheidend, dass er, neben dem eloquenten sachlichen Sprech, ein Gefühl und eine Sprache für die Beziehungsebene entwickelte. Denn mit guten Beziehungen – privat wie beruflich – steht und fällt alles.

Hätte man Friedo nun, vor dieser persönlichen Entwicklung, z.B. die Technik nahegelegt, doch mehr in Ich-Botschaften zu sprechen, das wäre nichts geworden. Erst einmal musste er seiner inneren Wahrheit auf die Spur kommen.

Mit der Kommunikationspsychologie entwickelst du ein Gespür und immer mehr auch ein Heimspiel für alle vier Ebenen der Kommunikation. Vielleicht hast du auch schon ein Heimspiel auf der Beziehungsebene, auch dann heißen wir dich herzlich willkommen. Denn wie Friedo sagt:

„Die Kommunikationspsychologie enthält nicht nur ein Heilungsangebot für ›defizitäre Menschen‹, so wie ich vielleicht einer war. Sondern auch ein Wachstumsangebot für Menschen, die ansonsten gut im Leben stehen. Und vielleicht liegt darin auch die Faszination.“

Mythos #6: „Sachliche Kommunikation ist im Beruf der Goldstandard.“

Sachlichkeit ist wichtig – keine Frage. Aber sie ist nur ein Teil eines größeren Ganzen. Wirklich wirksame Kommunikation entfaltet ihre Stärke auf allen vier Seiten:

Ohne vier sensible Ohren
bist du im Kontakt verloren!
Und dasselbe gilt auch für die vier Schnäbel!

Was heißt das konkret?

Ein guter Draht zueinander entsteht auf allen vier Ebenen:

  • Sachebene: Wenn wir sachliche Informationen klar und verständlich austauschen.
  • Selbstkundgabe: Wenn du spürst, wie es deinem Gegenüber geht – und dich nicht nur sachlich, sondern menschlich verstanden fühlst.
  • Beziehungsebene: Dass die Art, wie wir miteinander reden für uns beide energiespendend ist und ich nicht dauern denke oder sage: „Was ist das für ein unverschämter Ton, den du anschlägst?!“
  • Appellebene: Wenn du erkennst, was der andere von dir will – und darauf reagieren kannst, sei es zustimmend, hinterfragend oder ablehnend.

Wer im Beruf vor allem sachlich unterwegs ist, kann davon profitieren, auch die anderen Ebenen gezielt mitzudenken.

Denn: Je besser der Draht zum Gegenüber, desto klarer und wirkungsvoller die Kommunikation. Je tragfähiger und geklärter die Beziehungsebene, desto leichter auch der Austausch über fachliche Themen.

Fachlich und sachlich nachhaltig weiterkommen? Nur mit einem guten Draht zum Gegenüber.

Mythos #7: „Fake it, till you make it.”

Es ist kein Mythos in dem Sinne, sondern ein geflügelter Satz und wir werfen einen kommunikationspsychologischen Blick darauf:

Wie kommen wir in der Kommunikationspsychologie, in unseren Trainings wie Coachings vom bloßen Lippenbekenntnis (Fake it) z.B.

  • „Ich bin jetzt selbstsicherer und trete selbstbewusst auf.“ oder
  • „Ich bleibe ruhig und souverän in Konflikten“ oder
  • „Ich bin freundlich und konstruktiv mir selbst gegenüber“

Wie kommen wir dahin, dass wir hineinwachsen in neu erworbene Kenntnisse, Wissen, Persönlichkeit(en)?

In all unseren Weiterbildungsreihen lernen wir mit Kopf, Herz, Hand und Fuß. Das bedeutet:

  • Kopf: Aufklärung und Information, Handwerkszeug; Kommunikationsmodelle
  • Herz: Selbsterfahrung; dass auch der innere Mensch und das sich selbst Kennenlernen im Seminar bereits eine Rolle spielt.
  • Hand: Repertoire-Erweiterung und Übung
  • Fuß: klare Standortbestimmung auf dem systemischen Feld der Begegnung, damit eine feine Antenne für situative Stimmigkeit wachsen kann.

Mythos #8: „Wenn es um Kritik geht - dann ist die Sandwich-Methode das Mittel der Wahl!“ (1/2)

Die Sandwich-Methode ist gut gemeint – aber aus unserer Sicht nicht sinnvoll. Der Gedanke, Kritik zwischen zwei Scheiben Lob zu verpacken, berücksichtigt zwar ein wichtiges Prinzip - nämlich, dass Entwicklung dann möglich wird, wenn Konfrontation auch mit Akzeptanz gepaart ist. Allerdings spüren Menschen sehr genau, wenn Lob als Mittel zum Zweck eingesetzt wird, um die Beziehung nicht zu gefährden und Kritik verkraftbarer zu machen. Auf diese Weise wird das eigentliche Anliegen verwässert, oft wartet der/die Feedbackempfangende misstrauisch nur darauf, dass endlich "das Eigentliche" kommt. Und ein nicht ernst gemeintes Lob? Ist oft schlimmer als gar keins.

Gutes Feedback hat Substanz. Es zeigt, dass ich mich wirklich mit dir und dem, was du tust, auseinandergesetzt habe – und auch mit mir selbst.

Für kritische Feedbacks erweisen sich zwei Modelle aus unserem Hause als hilfreich. Heute im Fokus: Das Kommunikationsquadrat.
Es ermöglicht eine innere Vorklärung, wenn ich dich kritisieren möchte und zwar auf allen vier Ebenen der Kommunikation:

  • Sachebene: Welches Verhalten habe ich beim Anderen beobachtet? Was genau ist vorgefallen? Welche Konsequenzen hat das?
  • Selbstkundgabe: Wie reagiere ich innerlich darauf? Welche meiner Bedürfnisse/Maßstäbe werden möglicherweise verletzt?
  • Beziehungsebene: Wie erscheint mir der/die andere (in dieser Angelegenheit)?
  • Appellseite: Was soll der/die andere tun oder lassen? Dabei ist zu unterscheiden zwischen: Wunsch/Bitte, Empfehlungen/Rat und Forderung/Anweisung.

Nun kann ich die wesentlichen Punkte strukturiert ansprechen - wobei: welche Seite des Quadrats stärker in den Vordergrund rücken sollte, das entscheidet letztlich das Stimmigkeitsgebot.

Denn das, was - und wie du es sagst, soll zur Situation und deiner Rolle passen, gleichzeitig aber auch in Übereinstimmung mit dir selbst sein.

Mythos #9: „Wenn es um Kritik geht - dann ist die Sandwich-Methode das Mittel der Wahl!“ (2/2)

In Teil 1/2 zu diesem „Mythos“ haben wir uns gegen die Sandwich-Methode ausgesprochen und stattdessen das Kommunikationsquadrat als innere Vorbereitung auf ein Feedbackgespräch empfohlen.

Nicht bei allen stößt unsere Kritik an der Sandwich-Methode auf Einverständnis; ist doch die Idee, Kritikpunkte durch zwei positive Aspekte beziehungsverträglicher rüberzubringen ein bewährtes Prinzip.

Dem möchten wir auch gar nicht widersprechen. Unsere Kritik richtet sich vielmehr gegen die technische Anwendung dieser Methode:
Ich habe einen Kritikpunkt – und muss mir dafür nun noch zwei positive Aspekte überlegen, die zwar freundlich gemeint sind, aber inhaltlich nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun haben. Das wirkt dann eher irritierend, als hilfreich.
„Schön und gut, dass dir auch Dinge an mir gefallen – aber wie soll ich mich jetzt hinsichtlich des Kritikpunkts verhalten?“

Hier setzt mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat ein weiteres Modell aus unserem Hause an, wie Friedo im Ausschnitt aus dem Interview mit Alexander Riedler (hier auf YouTube ansehen) beispielhaft erklärt.

Das Modell hilft uns, ausgehend vom Kritikpunkt, zu schauen: „Was ist der gute und erhaltenswerte positive Kern im Verhalten des anderen? Was kann ich würdigen? Welche durchaus positive Qualität sehe ich gerade in der Gefahr der Übertreibung?"
Und auch: „Welchen ergänzenden Wert müsste die Person zu diesem „guten Kern“ noch hinzuentwickeln, um der Gefahr einer ungünstigen Übertreibung entgegenzuwirken?"

Ein solches Feedback ist nicht nur würdigend, sondern auch klar – und zeigt darüber hinaus auch eine Entwicklungsrichtung auf.

Wie immer gilt: Diese Methode funktioniert nur dann, wenn ich einen guten Kern beim Gegenüber wirklich erkennen und wertschätzen kann.

Mythos #10: „Wer sich zu viel mit seiner Kommunikation beschäftigt, redet bald wie aus dem Lehrbuch.“

Keine Sorge – selbst Friedemann Schulz von Thun sagt:
„Im menschlichen Kontakt vergesse ich das Kommunikationsquadrat. Das ist etwas für die Reflexion und zur Vor- oder Nachbereitung. Aber im direkten Kontakt soll man nicht zu viel an die Modelle denken.“

Warum also überhaupt Kommunikationsmodelle trainieren, wenn man sie im entscheidenden Moment gar nicht präsent haben soll?

Weil sich durch Übung etwas Entscheidendes verändert:
Die Reflexion mit Quadrat wird zur Intuition aus dem Bauch heraus. Wer sich intensiv damit auseinandergesetzt hat, denkt im Moment der Begegnung vielleicht nicht aktiv an vier Seiten – spürt aber dennoch intuitiv:
„Da ist eine kleine Unverschämtheit auf Beziehungsebene, aber auf der Selbstkundgabe scheint ihn/sie etwas zu bedrücken – und was er/sie von mir will (Appell), ist mir noch unklar.“

Friedo beschreibt es so:
„In der Kommunikation führt der Mensch ein doppeltes Leben: Er ist wie ein Tennisspieler im Getümmel – der Ball fliegt hin und her. Gleichzeitig sitzt auf einem Hochsitz jemand, der das Ganze beobachtet. Und im Leben sind wir beides: unten im Getümmel und oben auf dem Hochsitz. Mein Getümmel-Ich reagiert spontan und aus dem Bauch heraus, mein Hochsitz-Ich ist reflexionsfähig und kann anerkennen, wo das Gegenüber auch ein bisschen recht hat – und wo die Wahrheit zu zweit beginnt.

Unsere Utopie: Dass ein bisschen Hochsitz mit ins Getümmel kommt. Dass man nicht nur hinterher klüger ist, sondern schon währenddessen eine gewisse Nachdenklichkeit mitführen kann.“

Mythos #11 „Gute Kommunikation entsteht automatisch, wenn ich weiß, was ich sagen möchte und im Einklang mit mir selbst bin.“

Das stimmt leider nur zur Hälfte. Die andere Hälfte der Wahrheit ist: Ich muss auch im Einklang mit der Situation sein, um stimmig zu kommunizieren.

Viktor Frankl hat gesagt: „Jede Situation hat einen Ruf, den wir zu horchen und dem wir zu gehorchen haben.“ Und es stimmt: Der Mensch möchte nicht „nur“ er selbst sein dürfen, er möchte auch zum Gelingen einer Situation, eines Teams, einer Gemeinschaft beitragen.

Friedo hat gesagt: „Stimmigkeit ist ein Zauberwort meines Universums.“ Und stimmig ist deine Kommunikation eben genau dann, wenn:

1. Die Art, wie du dich gibst und sprichst, mit dem Menschen übereinstimmt, der dahinter ist (und du keine antrainierten Sprechblasen zum Besten gibst).

2. Sie zu dem passt, was die Situation dir abverlangt und erfordert.

Nicht alles, was authentisch in dir ist, passt auch in die Situation. Ein Beispiel: Du willst eine Geburtstagsrede für deinen Freund halten – und spürst gleichzeitig den Drang, endlich mal auszusprechen, was dich an ihm nervt. Mag sein, dass das ehrlich und längst überfällig ist – aber nicht in dieser Rede, nicht in diesem Moment.

TZI-Begründerin Ruth Cohn hat das Konzept der selektiven Authentizität geprägt:
„Alles, was du sagst und tust, sollte authentisch sein. Aber nicht alles, was authentisch ist, solltest du (in jeder Situation) zeigen.“

Im Modell des Inneren Teams bedeutet das: Jede Situation verlangt nach einer anderen inneren Mannschaftsaufstellung – während andere innere Teammitglieder in anderen Rollen und Kontexten gefragt sind.

Mythos #12: „Das spontane Bauchgefühl weist meist den richtigen Weg.“

Haben wir alle schon mal gehört – vielleicht auch selbst gesagt.
Aber: Aus kommunikationspsychologischer Sicht ist das bei weitem nicht immer der Fall. Denn dabei bleibt eine wichtige Stimme des Inneren Teams außen vor: der Spätmelder.

Spätmelder sind inneren Teammitglieder, die sich, es überrascht nicht: später melden. Vielleicht hörst du bei einer Entscheidung auf dein erstes Bauchgefühl – oder du nimmst dir Zeit, wägst ab, versammelst sogar dein Inneres Team zur inneren Ratsversammlung. Und trotzdem:
Stunden, Tage oder sogar Wochen später, meldet sich plötzlich eine innere Stimme, die sagt:
„JETZ BIN ICH DA UND SO GEHT’S NICHT!“

Spätmelder kommen selten leise. Meist bringen sie Wucht mit – und oft haben sie einen besonders wichtigen Zipfel deiner inneren Wahrheit zufassen. Dann hilft nur eins: innehalten, neu sortieren, eine Lösung finden, mit der auch der Spätmelder d’accord geht.

Spätmelder sind Fluch und Segen zugleich: Sie können sich unangenehm anfühlen, vor allem, wenn sie ZU spät dran sind. Aber: Sie bringen auch eine Weisheit aus der Tiefe unserer Seele mit. Sie holen etwas aus dem Unbewussten ins Bewusstsein, das zu wichtig ist, um es zu ignorieren. Ohne dieses Wissen deine Entscheidung nicht stimmig wäre.

Aber was tun, wenn du kurzfristig reagieren musst? Bei jeder anstehenden Entscheidung sagen: „Ich warte mal ein, zwei Wochen – vielleicht meldet sich ja noch ein Spätmelder.“? Das ist nur selten alltagstauglich.

Die gute Nachricht: Wer mit dem Inneren Team arbeitet, lernt seine „späten Pappenheimer“ mit der Zeit besser kennen. Vielleicht weißt du irgendwann, z.B.: „Meine innere Pflichtbewusste und meine Harmonieliebende übernehmen meist zuerst das Zepter, aber es gibt häufig einen Spätmelder, dem das gar nicht passt, der dringend Abgrenzung und Ruhe fordert.“ Dann kannst du lernen, diesen Anteil gezielt früher einzuladen: „Was könnte dieser Spätmelder dazu sagen?“

Und doch: Manchmal hilft alles nichts. Dann gilt es, ehrlich zu sein – zu sich und anderen.
„Können wir noch mal sprechen? Ich hatte da einen Spätmelder…“

 

Mythos #13: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“

Finale unseres Formats – und wir widmen uns einem Klassiker.
Ja, manchmal ist Schweigen klüger als Reden: Zum Beispiel dann, wenn die Worte, die uns sonst über die Lippen kämen, verletzend, unangemessen oder schlicht überflüssig wären.

Wenn wir schweigen, können wir zumindest nichts Falsches sagen, oder?
So einfach ist es leider nicht – denn wie Watzlawick es auf den Punkt brachte: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Auch wenn wir kein Wort sagen, senden wir Botschaften – auf allen vier Ebenen des Kommunikationsquadrats. Nur: Wir überlassen dem Gegenüber eine noch größere Interpretationsfreiheit.

Und je nach Situation, Körpersprache der Senderin und Beziehung zum Empfänger, kann das zu ziemlich ungünstigen Deutungen führen, z.B.

Sachebene: Ich sage nichts (dazu).
Selbstkundgabe: ich bin unsicher/überfordert/genervt/desinteressiert.
Beziehungsebene: Du bist mir gleichgültig/Ich bin unzufrieden mit dir.
Appell: Lass mich in Ruhe/Denk dir deinen Teil.

Gerade bei Menschen, die wir nicht gut kennen, neigen wir dazu, Schweigen und nonverbale Signale negativ zu deuten – weil wir als soziale Wesen besonders wachsam auf Hinweise möglicher Ablehnung reagieren.
Wer schweigt, lässt andere allein im Deutungsraum.

Fazit: Kontext schlägt Sprichwort.
Weder Reden noch Schweigen ist per se besser.
Es kommt darauf an:

  • Wie ist die Situation?
  • Wie möchte ich (nicht) verstanden werden?
  • Gelingt das eher durch Schweigen – oder durch das explizite Aussprechen einer oder mehrerer Ebenen?

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